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22.09.2020

Langlebigkeit von Milchkühen

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ÖKOLANDBAU.DE - DAS INFORMATIONSPORTAL

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Viehhaltung Milch Bio Ökolandbau

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Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Milchkühen ist weder im konventionellen noch im Ökobereich zufriedenstellend. Professor Sven König erklärt im Interview, welche Rolle hohe Milchleistungen dabei spielen, wie Genetik und Umwelt die Langlebigkeit der Tiere beeinflussen und warum der Ökolandbau eine eigenständige Züchtung in der Milchviehhaltung braucht.

Prof. Sven König, Leiter des Fachbereichs Tierzucht der Universität Giessen. Quelle: Universität Giessen

Prof. Dr. Sven König leitet den Fachbereich Tierzüchtung an der Justus-Liebig-Universität Giessen. Er arbeitet aktiv in verschiedenen Projekten mit Rinder-Zuchtverbänden und hat die BÖLN-Studie "LongLife" betreut, in der untersucht wurde, welche genetischen Faktoren die Langlebigkeit von Kühen im Ökolandbau beeinflussen.  

oekolandbau.de: Herr Prof König, schaut man sich die Entwicklung der Lebensdauer von Hochleistungskühen an, wird deutlich, dass der Wert für die verbreitetste Rasse Holstein-Friesian seit vielen Jahren konstant bei etwa 4,5 Jahren liegt, während die Leistung kontinuierlich gestiegen ist. Läuft etwas falsch in der Züchtung?

König: Ich sehe das weniger kritisch. Betrachtet man die Anzahl an Laktationen, so lässt sich nämlich sehr wohl eine positive Entwicklung erkennen. Statt auf 2,5 Laktationen wie vor zehn Jahren kommen wir heute im Schnitt auf über drei Laktationen. Der Züchtungsfortschritt hat auch dazu beigetragen, dass die Aufzuchtphase verkürzt werden konnte zugunsten einer längeren Nutzungsphase. 

oekolandbau.de: Wie sehen die Zahlen für den Ökolandbau aus, wo Langlebigkeit ja grundsätzlich viel stärker im Fokus steht?

König: Hier sehen die Zahlen nicht besser aus als im konventionellen Bereich, trotz der definierten Leitlinien zugunsten von mehr Tiergesundheit.

Auf kleineren Betrieben werden Kühe oft intensiver betreut und bei auftretenden Problemen länger behandelt. Quelle: Jürgen Beckhoff, BÖLN

oekolandbau.de: Warum liegt die Nutzungsdauer bei Fleckvieh im Schnitt etwa ein halbes Jahr höher?

König: Das lässt sich nicht genau sagen. Möglicherweise gibt es spezielle Rasse-Charakteristika, die dazu beitragen. Ich vermute jedoch eher etwas anderes. Fleckvieh wird überwiegend in Süddeutschland gehalten, auf eher kleineren bis mittleren Familienbetrieben. Hier gibt es oft noch eine engere Bindung an die einzelnen Tiere. Man kümmert sich bei Krankheiten intensiver um die Kühe und hält länger an ihnen fest. In den größeren Betrieben in Nord- und Ostdeutschland, die fast ausschließlich mit Holstein-Friesian arbeiten, werden kranke Tiere schneller und konsequenter ausgemerzt. Das macht sich natürlich auch in der durchschnittlichen Nutzungsdauer bemerkbar. 

oekolandbau.de: Welchen Einfluss hat eine hohe Milchleistung auf die Nutzungsdauer?

König: Wir haben auf Basis unserer zahlreichen Betriebsdaten den Zusammenhang zwischen Leistung und Lebensdauer intensiv untersucht. Das Ergebnis lautet: Es gibt keinen signifikanten Zusammenhang auf genetischer Ebene. Das heißt, Langlebigkeit und hohe Leistung sind bei Milchkühen genetisch kein Widerspruch. Das gleiche gilt auch für den Zusammenhang zwischen Leistung und Tiergesundheit. Wenn ich also auf hohe Milchleistung züchte, heißt das nicht, dass ich automatisch Kühe mit kürzerer Lebensdauer oder schlechterer Gesundheit habe. Es gibt ja auch eine Vielzahl an Bullen, die beide Eigenschaften in die gewünschte Richtung vererben. 

oekolandbau.de: Welche genetischen Faktoren beeinflussen nach den Ergebnissen Ihrer LongLife-Studie die Nutzungsdauer?

König: Wir haben festgestellt, dass Euter-, Klauen- und Stoffwechselerkrankungen einen stark negativen Einfluss auf die Langlebigkeit haben. Ein besonderes Problem im konventionellen Bereich sind Stoffwechselerkrankungen in der frühen Phase der ersten Laktation. Vor allem in Großbetrieben werden diese Tiere meist schnell gemerzt, was sich in einer geringen durchschnittlichen Nutzungsdauer der Herde widerspiegelt. 

Im konventionellen Bereich können Hochleistungskühe besser ausgefüttert werden als im Ökolandbau. Quelle: Jürgen Beckhoff, BÖLN

oekolandbau.de: Warum schneidet der Ökolandbau in Bezug auf die Langlebigkeit kaum besser ab?

König: Im Ökolandbau gibt es keine systematische eigenständige Züchtung, die die besonderen Ansprüche der ökologischen Haltungsbedingungen berücksichtigt. Bio-Betriebe müssen deshalb überwiegend auf Bullen zurückgreifen, deren Töchter sich unter konventionellen Bedingungen bewährt haben. Doch deren Eigenschaften passen oft nicht zu den ökologischen Haltungsbedingungen. So fällt es zum Beispiel Bio-Betrieben oft schwer, Hochleistungskühe unter Low-Input-Bedingungen mit wenig oder ganz ohne Kraftfutter optimal auszufüttern. Die Folge sind auch hier Stoffwechselprobleme, die häufig zum vorzeitigen Abgang der Tiere führen. 

oekolandbau.de: Das heißt, es gibt einen Einfluss der Umweltbedingungen auf die Genetik der Tiere und damit auch auf die Langlebigkeit?

König: Einen sehr großen sogar. Wir haben in zahlreichen Studien nachgewiesen, dass die Genetik bei den funktionalen Merkmalen wie Nutzungsdauer oder Gesundheit maximal 15 Prozent ausmacht. Der Rest wird durch die Umwelt und das Herdenmanagement beeinflusst, also etwa durch die Fütterung, die Haltungsform und sogar durch das Klima. Es ist sogar so, dass die Umwelt darüber entscheidet, ob bestimmte Gene aktiviert werden. Nehmen Sie zum Beispiel das Merkmal "Milchleistung". Hier kann es sein, dass die entscheidenden Gene für dieses Merkmal unter konventionellen Bedingungen aktiv sind, unter ökologischen Bedingungen aber nicht oder nur eingeschränkt. Deshalb bräuchten wir eigentlich eine eigenständige Züchtung für den Ökolandbau mit einer eigenständigen Zuchtwertschätzung.  

oekolandbau.de: Wie können sich Bio-Milchviehbetriebe zurzeit trotzdem züchterisch weiterentwickeln und die Langlebigkeit verbessern?

König: In dem sie die Bullen wählen, deren Nachkommen sich im System Ökolandbau bewährt haben. Genau das ist ein zentrales Ergebnis unserer LongLife-Studie. Auf Basis der umfassenden Betriebsdaten aus beiden Produktionssystemen können wir genau berechnen, welche Bullen nicht nur im konventionellen Bereich gut abschneiden, sondern auch besonders geeignet sind für den Ökolandbau. In unserer nächsten Studie wollen wir sogar noch einen Schritt weitergehen und die Eignung der Bullen weiter differenzieren. Schließlich gibt es ja auch zwischen den einzelnen Bio-Betrieben große Unterschiede, etwa bezüglich der Intensität und des Kraftfuttereinsatzes. Auch hier können wir die günstigsten Bullen für bestimmte Produktionsbedingungen vorschlagen. Das wäre zeitnah machbar.  

oekolandbau.de: Wann und wo wird die Liste mit den Bullen verfügbar sein, deren Nachkommen sich auch im Ökolandbau bewährt haben?

König: Diese Ergebnisse sind automatisch im Projekt "LongLife" mit angefallen. Für die Merkmale, die wir bisher analysiert haben, gibt es Zuchtwerte für Bullen in beiden Produktionssystem Öko und Konventionell. Allerdings werden in der Milchrinderzucht gegenwärtig sehr viele Merkmale züchterisch bearbeitet. Es gibt allein schon Diagnosen für über 900 Gesundheitsmerkmale. Alle diese Merkmale in einer Zuchtwertschätzung zu berücksichtigen ist natürlich sehr rechen- und zeitintensiv. 

oekolandbau.de: Zu den Umwelteinflüssen gehört auch das Herdenmanagement. Welchen Einfluss hat das Management auf die Langlebigkeit?

König: Einen sehr großen. Wir schätzen auf Basis der vorliegenden Zahlen aus Praxisbetrieben, dass der Einfluss der Herdenbetreuung in Bezug auf die Langlebigkeit etwa 50 Prozent ausmacht. Mit anderen Worten: Wer seine Herde gut managt und die Arbeit mit Kühen versteht, erhöht die Langlebigkeit seiner Herde bei gleichzeitig hohem Leistungsniveau. 

oekolandbau.de: Noch ein Blick in die Zukunft. Was glauben Sie, wie weit wird sich die Nutzungsdauer in der Milchviehhaltung durch Züchtung und Management anheben lassen?

König: Man sollte sich hier ruhig hohe Ziele stecken und an den Besten orientieren. In unserer Studie hatten wir Praxisbetriebe, die bei ihrer Herde schon heute im Schnitt auf fünf bis sechs Laktationen kommen, auch bei hoher Milchleistung. Ich bin zuversichtlich, dass auch die breite Masse der Betriebe irgendwann solche Zahlen erreichen wird, wenn die richtigen politischen Vorgaben gegeben sind. Wichtig hierbei ist, dass die Politik sich nicht an Meinungen der Gesellschaft orientiert, sondern den Bäuerinnnen und Bauern sowie den Züchterinnen und Züchtern mehr Eigenverantwortung überlässt.

Quelle: https://www.oekolandbau.de/ / BMEL

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